Verstehen, wie KI lernt

Michael Notter @ EPFL Extension School · 16 Minuten

Wie hat es die KI gelernt, zu lesen, zu sehen und zu entscheiden?

Wie KI Menschen imitiert und dabei ihre Fähigkeiten übertrifft

Im letzten Artikel haben wir uns damit beschäftigt, wie KI-Systeme anhand von Datensätzen genaue Vorhersagen über menschliche Merkmale wie das Gewicht oder die Körpergrösse treffen können. Jetzt, wo wir besser verstehen, wie KI funktioniert und wie sie sich von einfacher, altmodischer Software unterscheidet, können wir uns fragen – warum nennen wir solche Systeme eigentlich künstliche Intelligenz oder KI?

Zunächst können wir darüber nachdenken, was Menschen - und bis zu einem gewissen Grad auch Tiere - intelligent macht. Lebewesen haben die Fähigkeit, sich Wissen und Kompetenzen anzueignen und diese dann auf viele verschiedene Arten anzuwenden.

Menschen und Tiere sind…

«Wesen, die ihr Verhalten aufgrund von Erfahrungen anpassen».

Das Verhalten von KI-Systemen ist dem sehr ähnlich. Sie erwerben und beherrschen neue Kenntnisse und Kompetenzen, indem sie Daten betrachten und daraus neue Ansätze zur Erledigung von Aufgaben entwickeln. Man könnte sie beschreiben, als…

Computersysteme, die ihr Verhalten aufgrund von Daten anpassen».

Das ist aber ein wenig langatmig, auch wenn es eine genaue Beschreibung ist.

Der Einfachheit halber verwenden wir den Begriff «künstlich», weil wir über Computersysteme und Algorithmen sprechen, und «Intelligenz», weil diese Systeme ihr Verhalten auf der Grundlage von Daten anpassen, genau wie Lebewesen.


Menschen und KI-Systeme verfolgen unterschiedliche Lernansätze, aber es gibt eine bemerkenswerte Anzahl von Parallelen in der Art und Weise, wie jedes KI-System Intelligenz entwickelt und anschliessend zum Erreichen von Zielen einsetzt. Um diese Parallelen zu erläutern, werden wir uns drei der wichtigsten Bereiche der KI-Forschung genauer ansehen:

  1. Wie KI das Lesen und Schreiben lernt
  2. Wie KI das Sehen und Zeichnen lernt
  3. Wie KI das Lernen, das Treffen von Entscheidungen, das Scheitern und das Weiterlernen lernt.

Wie KI das Lesen und Schreiben lernt

Unsere Fähigkeit, unsere Gedanken, Absichten und Ideen in Form von Text und Sprache zu übermitteln, ist ein Hauptmerkmal, das uns Menschen von den Tieren unterscheidet. Dennoch kann es schwierig sein, zu verstehen, was eine andere Person sagt, insbesondere wenn sie eine andere Sprache spricht.

Frühe Computerprogramme unterstützten uns in unserer Kommunikation, indem sie unsere Texte leichter lesbar machten und unsere Rechtschreib- und Grammatikfehler korrigierten. Später kamen Programme hinzu, die unseren Text von einer Sprache in eine andere übersetzten. Die ersten Versionen von Übersetzungssoftware waren recht einfach und waren eher lustig als nützlich. Sie gingen einfach zwei Sätze von Vokabeln durch und übersetzten Texte nahezu Wort für Wort.

Aus dem englischen "Hello, welcome to That's AI",
wurde auf Deutsch "Hallo, willkommen zu Das ist KI".

Für den Anfang war dies ein guter Ansatz, aber diese einfachen Programme konnten den Kontext, die Nuancen oder die zugrunde liegenden Bedeutungen von Texten nicht verstehen. Manchmal führt eine einfache Wort-für-Wort-Übersetzung zu einem unsinnigen Ergebnis, wie dieses amüsante Beispiel aus dem Französischen ins Deutsche:

Der französische Satz "Mon avocat est périmé",
der sich auf die Avocado-Frucht bezieht,
wurde auf Deutsch zu "Mein Anwalt ist abgelaufen."


Vielleicht erinnern Sie sich aus dem vorherigen Artikel daran, dass Computerprogramme keine KI-Technologie benötigen, um Wort-für-Wort Rechtschreibprüfungen oder Übersetzungen durchzuführen. Dabei werden keine Daten analysiert und keine Informationsmuster untersucht.

KI-Forscher haben sich vorgenommen, diese grundlegenden Tools mit der neuesten KI-Technologie zu verbessern und hoffen, Systeme zu schaffen, die Menschen beim Lesen, Schreiben und Sprechen unterstützen können. Das KI-Forschungsgebiet, das sich mit diesem Thema beschäftigt, heisst natürliche Sprachverarbeitung (im Englischen Natural Language Processing (NLP)).

Zwei Verwendungen des Wortes "Fuss" (in englisch "foot"): Texte auf der linken Seite beziehen sich auf die Längeneinheit, während sich die Texte auf der rechten Seite auf das Körperteil beziehen.

Eine der Herausforderungen für KI-Systeme in diesem Bereich besteht darin, zu lernen, wie Texte strukturiert sind. Indem das KI-System riesige Mengen an geschriebenem Text durchforstet und analysiert, welche Wörter nebeneinander vorkommen, welche in positivem oder negativem Kontext erscheinen, welche Freude oder Traurigkeit, Ernsthaftigkeit oder Humor ausdrücken, kann es die Informationsmuster erkennen, die die deutsche Sprache ausmachen.

Ein KI-System kann dann dasselbe für andere Sprachen tun und lernen, wie man die genaue Bedeutung und den Kontext zwischen ihnen übersetzt. Jedes Wort, jeder Satz und jeder Kontext trägt einen winzigen Teil dazu bei, das KI-System in die Lage zu versetzen, vorherzusagen, welche Wörter in einer Sequenz aufeinander folgen sollten und welche Wörter und Formulierungen einander korrekt übersetzen.

Wie Menschen beginnen auch KI-Systeme mit den Grundlagen und lernen zunächst, wie sie Wort für Wort übersetzen können. Beim Wiederholen des Übersetzungsprozesses entwickeln sie allmählich die Fähigkeit, Kontext, Struktur und Bedeutung zu verstehen.

Daraus ergibt sich für uns eine philosophische Frage, die es zu berücksichtigen gilt. Können wir ein KI-System als «intelligent» bezeichnen oder lernt es einfach, wie man Intelligenz nachahmt? «Versteht» es die Worte, die es benutzt, oder wiederholt es nur sprachliche Muster, die es in der jeweiligen Situation für richtig hält?

Indem sie riesige Mengen von Texten analysieren und herausfinden, welche Wörter zusammen verwendet werden, können KI-Systeme beeindruckende Fähigkeiten aufbauen. Sobald ein System gelernt hat, welche Wörter in welchem Kontext verwendet werden, kann es eine Rechtschreibprüfung Ihres Textes durchführen und Ihnen Synonyme vorschlagen.

Es kann Ihre beruflichen Dokumente zum Beispiel mit anspruchsvolleren Wörtern verbessern oder bessere Ausdrucksmöglichkeiten für Beiträge in sozialen Medien vorschlagen. Diese KI-Systeme können Texte in Hunderte von verschiedenen Sprachen übersetzen, und das schneller und genauer als jeder Mensch.

Dieselben KI-Systeme werden verwendet, um die Leistung von Chatbots auf Webseiten zu verbessern und den Benutzern zu helfen, lange und komplizierte Interaktionen mit Callcentern zu vermeiden. Sie ermöglichen auch Alexa, Siri und anderen digitalen Assistenten, besser zu verstehen, was wir ihnen sagen.

Solche Systeme können nicht nur Texte in Standard-Englisch übersetzen, sondern auch in verschiedene Stilen, wie z. B. den von William Shakespeare oder Jean-Jacques Rousseau.

Von dort aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Erstellung von Originaltexten. In nicht allzu langer Zeit wird ein KI-System in der Lage sein, einen neuen Harry-Potter-Roman im Stil von Shakespeare zu schreiben und mit der Stimme von Barack Obama vorzulesen.

Spätestens dann werden wir uns erneut tiefgreifende, philosophische Fragen darüber stellen müssen, was Intelligenz bedeutet.

Wie KI das Sehen und Zeichnen lernt

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Intelligenz, der nicht ausschliesslich auf Menschen beschränkt ist, ist die Fähigkeit zum Sehen und Erkennen von Objekten. Bis vor kurzem war es für Computerprogramme sehr schwierig, zwischen Bildern von Katzen und Hunden zu unterscheiden. Für Menschen ist das eine extrem einfache Aufgabe – sogar Kinder können dies, nachdem sie nur ein paar Bilder von beiden Tierarten gesehen haben.

Doch die visuelle Identifikation von Dingen ist nicht so einfach, wie sie scheint. Zunächst müssen wir bestimmte Merkmale identifizieren, die uns helfen, eine Katze von einem Hund zu unterscheiden. Wir können dies tun, indem wir auf die Form oder Platzierung der Augen, Ohren oder Schnauze achten. Wir könnten die Haltung des Tieres und wie es sitzt oder steht, in Betracht ziehen.

Aber wie können wir dies auf ein Computerprogramm übertragen? Wie kann das Programm das Tier in einem Bild ausmachen und es vom Hintergrund unterscheiden? Und wie kann es Augen, Ohren und Schnauzen erkennen?

Das sind Probleme, die wir lösen müssen, bevor wir überhaupt anfangen können über Möglichkeiten zur Beurteilung von Merkmalen nachzudenken, die ein Bild «katzen-» oder «hundeartig» machen. So ein Programm von Grund auf zu programmieren ist definitiv keine leichte Aufgabe.

Jüngste Fortschritte im Bereich Deep Learning (DL), einem der Kernbereiche der KI-Forschung, haben KI-Systemen die Möglichkeit gegeben, visuelle Identifizierungsaufgaben viel genauer als zuvor durchzuführen. Auch hier ist der Schlüssel zum Durchbruch die Fähigkeit der KI, aber Millionen von Bildern zu verarbeiten, nach versteckten Mustern zu suchen und jedem dieser Bilder einen kleinen Parameter zuzuordnen.

Ein KI-System kann zum Beispiel lernen zu erkennen, ob ein Bild viele Streifen enthält, in diesem Fall könnte es sich um einen Tiger oder ein Zebra handeln. Es kann auch nach Farbveränderungen in einem Bild suchen: Grün am unteren Rand und Blau am oberen Rand deuten zum Beispiel tendenziell auf Landschaft und Himmel hin.

Die Stärke von Deep Learning-Ansätzen besteht darin, dass keine Instruktionen von menschlicher Seite erforderlich sind, da das KI-System selbständig lernen kann, nach welchen Mustern es suchen muss. Angesichts dieser Autonomie fangen KI-Systeme schon nach kurzer Zeit an, etwas sehr Interessantes zu tun.

Nachdem man eine KI Millionen von Bildern betrachten liess, auf denen 1000 verschiedene Objekte abgebildet waren, überprüften die Forscher, nach welcher Art von Muster die KI suchte, und sie fanden das folgende Bild:

AlexNet

Bildmuster, die von einem KI-Modell namens "AlexNet" gelernt wurden. Jedes Quadrat steht für ein bestimmtes Bildmuster (oder Bildmerkmal), nach dem das Modell sucht. Die Muster im oberen Bereich sind empfindlich für Linien und Ränder in unterschiedliche Richtungen, während die Muster im unteren Bereich nach Farbänderungen suchen. Das Bild stammt aus Krizhevsky, Sutskever, & Hinton (2017).

Dieses Bild mag für uns nicht besonders aussagekräftig sein, aber es erklärt, wie das KI-System die Dinge sieht. Es prüft ein Bild auf horizontale und vertikale Linien und vieles Ähnliches. Es sucht nach bestimmten Farben und nach Tendenzen, wie sie ineinander übergehen.

Bemerkenswerterweise ähnelt dies dem, was in unserem visuellen Kortex passiert, dem Bereich des Gehirns, der für die visuelle Wahrnehmung verantwortlich ist . Neurowissenschaftler wissen bereits seit Jahrzehnten, dass das menschliche Gehirn über spezialisierte Regionen verfügt, die nach sehr ähnlich aussehenden horizontalen und vertikalen Linien, Farbverschiebungen und mehr suchen. Ohne Aufforderung imitieren diese KI-Systeme natürliche Prozesse in einem überraschenden Masse.

Sobald das KI-System genügend Muster in verschiedenen Teilen des Bildes erkannt hat, lernt es, diese zu kombinieren, um Merkmale wie Augen, Ohren und Schnauzen zu erkennen. Davon ausgehend kann es schliesslich lernen, ob die Art und Weise, wie sie angeordnet sind, es wahrscheinlicher machen, dass auf dem Bild eine Katze oder ein Hund zu sehen ist.

AlexNet

Wie in der vorherigen Abbildung zeigt diese Illustration die verschiedenen Bildmuster, nach denen ein trainiertes KI-Modell suchen wird. Indem die verschiedenen Muster miteinander kombiniert werden, kann ein sogenanntes "Tiefes Lern"-Modell elementare (links), intermediäre (Mitte) oder sogar globale Merkmale (rechts) erkennen, wie z. B. ein "Auge", "Rad" oder "Vogel". Diese Abbildung wurde dem "Deep Learning Tutorial" von Yann LeCun und Marc'Aurelio Ranzato genommen und ist eine Anpassung der Abbildungen aus der Studie von Zeiler & Fergus (2014).

Durch das Betrachten von einer grossen Anzahl von Bildern identifiziert die KI die optimalen internen Parameter, die ihr helfen zuverlässige Urteile zu treffen. Anders ausgedrückt: Sie erlernt dadurch in gewisser Weise «zu sehen».

Computer hatten sehr lange Probleme mit der Bilderkennung. Erst 2012 entwickelte Google schliesslich ein Programm, das definitiv in der Lage war zu bestimmen, ob ein eine Katze oder ein Hund auf einem Bild zu sehen war.1 Dieses KI-System verfügte über Fähigkeiten, die denen eines kleinen Kindes ähneln, und es war in der Lage, rudimentäre Aufgaben mit ausreichender Genauigkeit auszuführen.

Von da an dauerte es nur noch 5 Jahre, bis KI-Systeme die Fähigkeit entwickelten, gefälschte Videos zu erstellen, manchmal auch als «Deep Fakes» bezeichnet. Bei diesen Bilder und Videos wird das Gesicht einer Person überzeugend durch das Gesicht einer anderen Person ersetzt.2 Deep Fakes können einen Grad an Detailtreue und Perfektion erreichen, den die meisten Menschen auch mit jahrelanger Erfahrung in Photoshop nicht erreichen würden.

Inzwischen haben KI-Systeme die Fähigkeit entwickelt, Krebs in Röntgenbildern mit weitaus höherer Genauigkeit zu erkennen als die meisten professionellen Radiologen.3 All diese verschiedenen Aufgaben werden mit den gleichen technologischen Prozessen durchgeführt, nämlich der Suche nach Mustern in den Bildern und der Feinabstimmung der Parameter, um ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen.

Damit ist die Entwicklung noch nicht an ihrem Ende angelangt. In jüngster Zeit sind KI-Systeme noch viel effektiver in der Nutzung der von ihnen erkannten Muster geworden. Deep Fakes sind ein gutes Beispiel dafür. Sobald KI-Systeme gelernt hatten, wie man Gesichter und Merkmale in einem gegebenen Foto erkennt, war es nur noch ein kleiner Schritt zur Nutzung dieser Informationen, um völlig neue, künstliche Gesichter zu erzeugen.

Auf der Website thispersondoesnotexist.com/ (auf Deutsch: ‘Diese Person gibt es nicht’) gibt es einen endlosen Feed von künstlich erzeugten Gesichtern, den Sie so oft Sie wollen aktualisieren können.4 Die Bilder, die Sie dort sehen, wurden zu 100 % maschinell generiert. Wie der Name der Homepage schon verrät, existieren diese Menschen nicht wirklich, auch wenn sie teils täuschend echt aussehen.

Da KI-Systeme nun dazu in der Lage sind, ein bestimmtes Objekt auf einem Bild zu erkennen, können sie eine neue Version des Bildes ohne das Objekt erstellen. Infolgedessen können diese neuen Systeme unerwünschte Objekte aus Urlaubs- oder Hochzeitsfotos entfernen. Passanten, Touristen, ein Fleck auf Ihrem Hemd oder ein vorbeifliegender Vogel lassen sich auf Knopfdruck entfernen, damit Sie das perfekte Bild erhalten.5

Diese Systeme werden in Kürze automatisch in der Lage sein, Ihre Urlaubsfotos zu fotografieren, Gemälde im Stil Ihres Lieblingskünstlers zu erstellen6 und sogar kurzfristig neue Episoden Ihrer Lieblings-TV-Show zu erstellen.

Wie werden wir über die Voraussetzungen von Intelligenz, Kreativität und Vorstellungskraft denken, wenn all das möglich wird?

Wie KI das Treffen von Entscheidungen, das Scheitern und das Weiterlernen lernt

In den vorangegangenen Beispielen zum Lesen und Sehen haben wir gesehen, wie KI-Systeme grosse Datenmengen analysieren, Informationsmuster erkennen und dann eine Vielzahl von Parametern verfeinern, um ein Ergebnis vorherzusagen.

Einfach ausgedrückt: Die KI lernt, wofür bestimmte Wörter und Objekte stehen. Mit anderen Worten, sie lernen die Bedeutung von Mustern, und zwar auf eine Art und Weise, die sehr dem ähnelt, wie Menschen lernen. Wir lernen, was Buchstaben und Gegenstände repräsentieren, wofür sie stehen und wie sie aussehen, damit wir sie in Zukunft wieder erkennen.

Unser Leben ist jedoch nicht nach sauberen Mustern strukturiert und unsere Erfahrungen wiederholen sich nie auf genau dieselbe Weise. Die meisten unserer wichtigen Erkenntnisse und Fähigkeiten entwickeln wir ausserhalb des Klassenzimmers in der realen Welt. Hier kommt es nicht darauf an, wofür ein Objekt steht, sondern wie wir mit ihm interagieren und welche Konsequenzen diese Interaktion haben wird.

Was ist zum Beispiel der schnellste Weg zur Arbeit? Sollten Sie mit dem Auto oder Fahrrad fahren? Wie ist das Wetter heute? Lohnt es sich, wenn Sie bereits spät dran sind, ihren Helm aufzusetzen, bevor Sie zur Arbeit fahren? Ist es das höhere Sicherheitsrisiko wert, diese zusätzlichen 30 Sekunden zu sparen? Alle diese Überlegungen und Kompromisse beeinflussen unsere Entscheidungsfindungsprozesse.

Die Entwicklung von KI-Systemen, die mehrere Entscheidungen nacheinander treffen können, ist ein Bereich der KI-Forschung, der «bestärkendes Lernen» (im Englischen Reinforcement Learning) genannt wird . Diese KI-Systeme werden dort platziert, wo sie mit der Umgebung interagieren und Entscheidungen treffen können, und je nach ihren Aktionen entweder belohnt oder bestraft werden. Mit anderen Worten, sie lernen durch die Verankerung von positiven Verhaltensweisen.

Nehmen wir ein Beispiel. Stellen Sie sich einen Park mitten in der Stadt mit Bäumen und einem Vogel vor, der nach etwas zum Essen sucht. In diesem Szenario ist der Vogel der «Akteur» (manchmal als «Agent» bezeichnet), der versucht, den schnellsten Weg zu finden, um an Nahrung zu kommen. Der Vogel könnte im Park (( der Umwelt)) herumfliegen , um Nahrung zu finden, und würde dabei eine Vielzahl von Situationen erleben.

Irgendwann beschliesst der Vogel zu landen und auf dem Boden nach Nahrung zu suchen, wird aber von einer Katze angegriffen. Der Vogel überlebt, aber er erfährt, dass seine Entscheidung, zu viel Zeit auf dem Boden zu verbringen, zu einer Situation führte, in der er fast gefressen worden wäre. Er entscheidet, in Zukunft mehr Zeit in der Luft zu verbringen, wo er sicherer ist.

In einem anderen Szenario findet es jedoch einen Hotdog-Van in der Ecke des Parks und entdeckt daneben viele Krümel auf dem Boden. In diesem Fall lernt er, dass es eine gute Idee ist, Zeit in der Nähe von Dingen zu verbringen, die von Menschen umgeben sind, da dies Belohnungen für sein Verhalten erbringen.

KI-Systeme, die mit bestärkendem Lernen funktionieren, werden auf genau die gleiche Weise entwickelt. Diese Systeme sind Akteure in bestimmten Umgebungen und treffen auf der Grundlage früherer Erfahrungen Entscheidungen. Sie beobachten Ergebnisse und erfahren, welche Handlungen zu Belohnungen und welche zu Bestrafungen führen.

Diese Art von KI-System unterscheidet sich ganz erheblich von den beiden anderen Systemen, die wir zuvor kennengelernt haben. In unseren vorherigen Beispielen wurden den KI-Systemen Daten zur Verfügung gestellt, damit sie Informationsmuster identifizieren konnten. Beim bestärkenden Lernen erzeugt das KI-System seine eigenen Daten, indem es ein aktiver Teilnehmer in einer Umwelt mit Belohnungen und Bestrafungen ist. Durch Versuch und Irrtum lernen diese KI-Systeme, aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen bessere Entscheidungen zu treffen.

Bestärkendes Lernen stellt noch ein relativ neues Feld in der KI-Forschung dar und in unserem Alltag gibt es bisher nicht viele Systeme, die diesen Ansatz verwenden. Das liegt daran, dass selbst einfache Systeme dieser Art Abertausende von Wiederholungen von Versuch, Irrtum und Verbesserung in einer kontrollierten Umgebung benötigen, um zu funktionieren. Der Aufbau und die Simulation dieser Umgebungen nehmen viel Zeit in Anspruch, sodass im Vergleich zu anderen KI-Systemen Fortschritte relativ langsam erzielt werden. Dennoch ist dieses Forschungsgebiet sehr vielversprechend, denn es ähnelt sehr der Art und Weise, wie Menschen lernen, sich in Umgebungen zu verhalten und Entscheidungen zu treffen.

Technologien, die auf bestärkendem Lernen basieren, waren einer der wichtigsten Durchbrüche, die in letzter Zeit auf dem Gebiet der KI erzielt wurden. Ein solches System war erfolgreich in der Lage, mehrere Atari-Videospiele zu spielen, indem es nur die Pixel auf dem Bildschirm betrachtete.7 Bestärkendes Lernen war auch die Schlüsseltechnologie in AlphaGo, dem DeepMind-Algorithmus von Google, der 2016 den weltweit führenden Go-Spieler in vier von fünf Fällen besiegte.8

Das gleiche Team hat dann bestärkendes Lernen benutzt, um AlphaFold zu bauen, das im Jahr 2020 ein 50 Jahre altes Problem in der Biologie gelöst hat.9 Und der gleiche Ansatz wird auch in der Robotik und bei automatisierten Drohnen eingesetzt – beides Szenarien, in denen Tausende von Testversuchen in kontrollierten Umgebungen sicher durchgeführt werden können.

In der Schweiz starteten die Schweizerischen Bundesbahnen kürzlich einen Wettbewerb mit dem Namen «Flatland Challenge». Dabei handelt es sich um einen offenen Wettbewerb, der alle Teilnehmenden dazu aufruft, mit Hilfe von bestärkendem Lernen eine optimale Lösung für das Verkehrsmanagement in komplexen Schienennetzen zu finden.

Zusammenfassung – wie Menschen lernen und wie KI-Systeme lernen

Derzeit können KI-Systeme lesen und schreiben, ohne wirklich zu verstehen, was Wörter bedeuten. Sie können sehen und zeichnen, ohne wirklich zu verstehen, was die Formen und Objekte in einem Bild tatsächlich darstellen. Und sie können Entscheidungen durch Versuch und Irrtum treffen, ohne zu wissen, wie es sich wirklich anfühlt, zu leben.

Ob diese Aktivitäten bedeuten, dass wir KI als intelligent oder sogar kreativ einstufen können, ist eine philosophische Debatte für einen anderen Zeitpunkt. Wir hoffen, dass dieser Artikel Ihnen ein Verständnis für die zugrundeliegende Mechanik in KI-Systemen vermittelt hat und dass ihre Funktionen und Fähigkeiten durch völlig nachvollziehbare und rationale Prozesse erklärt werden können.

  1. Weitere Informationen dazu finden Sie auf Englisch im Blog von Google wo sie diese Errungeschaft angekündigt haben oder diesem www.wired.com Artikel der darüber berichtet hatte. 

  2. Mehr über deepfakes, einschliesslich eines Beispielvideos, finden Sie im entsprechenden Wikipedia-Artikel. Die Vorsilbe “deep” in deepfakes kommt von der Tatsache, dass diese gefälschten Bilder mit Deep Learning generiert wurden. 

  3. Die Studie, die diese beeindruckende Leistung zeigt, wurde in Nature veröffentlicht und kann hier auf Englisch nachgelesen werden. 

  4. Wer neugierig ist, kann sich auch Katzen, Kunst oder Pferde ansehen, die es nicht gibt. 

  5. Ein Video, das diese Technologie in Aktion zeigt, finden Sie in dem YouTube-Video der Entwickler

  6. Diese Technik wird auch als “Style Transfer” bezeichnet. Unter diesem Link können Sie mehr über diesen Ansatz erfahren. 

  7. Die damit verbundene wissenschaftliche Veröffentlichung finden Sie hier

  8. Mehr zur Geschichte, wie AlphaGo gegen Lee Sedol gewann, finden Sie im entsprechenden Wikipedia-Artikel oder auf der Homepage der KI-Entwickler

  9. Mehr zur Geschichte von AlphaFold finden Sie im entsprechenden Wikipedia-Artikel oder auf der Homepage der KI-Entwickler

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